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Malerei, was sonst! Julia Galandi-Pascual

„Das Gemälde muss ausschließlich aus rein bildnerischen Elementen konstruiert sein,
d.h. aus Flächen und Farben.“ (Theo van Doesburg: Die Grundlage der konkreten Malerei, 1930)

Sie lässt nicht lange auf sich warten – im Angesicht von Siegfried Füreders Gemälden – die Frage, wann aus einer Ansammlung von Farbe auf einer Fläche eigentlich ein Bild wird. Bei näherer Betrachtung der zum Teil vielfarbigen Farbkörper fällt zunächst ein grundlegendes Interesse an Struktur im malerischen Prozess auf, innerhalb dessen der Technik des Farbauftrags offensichtlich eine besondere Bedeutung zufällt.

Tatsächlich trägt Füreder die Farbe nicht mit herkömmlichen Pinseln flächig auf die Leinwand auf, sondern trommelt – ohne dass es um außerordentliche Gesten persönlichen Ausdrucks ginge – mit Hilfe von deren Stielen das reine Farbmaterial auf den Träger. Die Entscheidung für diese eigenwillige Auftragstechnik rührt von früheren Zeichnungen her, in denen die strukturelle Dichte der realen Natur, insbesondere von Bäumen und Hecken mit Hilfe des Pigmentstiftes zu ungegenständlichen linearen Bildstrukturen auf das Blatt übertragen wurden. An den dicht anmutenden

Gemäldeoberflächen ist dagegen kein einzelner Pinselstrich im herkömmlichen Sinne sichtbar, sondern die Farbmaterie erhebt sich vielmehr in Form von Graten oder Spitzen von der Fläche in den Raum. Während nichts definitiv vorgeplant scheint, beeinflusst der besondere Entstehungsprozess unmittelbar das Bildergebnis.

Es ist vielmehr die gestisch-rhythmische Auftragsart, in teilweise sehr hohe Frequenz vorgenommen, die zu der bildbestimmenden Erscheinung der Farbe als Material führt. Bisweilen reliefartig, plastisch, häufig in den realen Umraum übergreifend, auf jeden Fall stets dynamisch aufgetragen, ist diese konkret-dingliche Qualität der Farbe in Siegfried Füreders Bildern aber schließlich deshalb bedeutungsvoll, weil sich genau darin Malerei an sich artikulieren kann. So definiert keineswegs allein die Beschaffenheit des Materials das gemalte Bild, sondern letztlich erst die gemalte Qualität der Farbe.

Lost in Painting, Markus Wiegandt

Kann man dem malerischen Prozess mit Worten beikommen? Wenn man sich dem Werk Siegfried Füreders nähert, stellt sich diese Frage unweigerlich. Die scheinbar unüberbrückbaren Differenzen der Zeichensys­teme führen einen an die Grenzen des Sagbaren und eh man sich versieht, steckt man in einer veritablen Sprachkrise. Hofmannsthals Chandos-Brief und das erschreckende Bild der wie modrige Pilze im Mund zerfallenden Worte kommen einem in den Sinn. Eigentlich wäre doch »Schauen« der richtige Zugang zur vorgefundenen Bildwelt, denn schließlich scheint sie nur visuell adäquat erfassbar zu sein. Dass man sich dann trotzdem auf der Suche nach einer Beschreibungssprache befindet, könnte als Hybris ausgelegt werden oder – positiv gewendet – als Verständnisprozess. Ausgangspunkt dieser Erkundung muss die Anschauung sein, denn schon Goethe wusste als Italienreisender spätestens in Venedig,  dass man manchmal nah ran sollte und nur sagen kann, »wie es mir entgegenkömmt.«

Verloren in der Malerei – einsamer nie (Benn) – stehen die Betrachtenden vor Füreders Leinwänden, finden keinen Fluchtpunkt und retten sich schließlich vom Schauen ins »Denken als Prozess«. Was passiert hier eigentlich? Was kann ich sehen? Wie hat der Maler das gemacht? Warum betreibt er diese Art von Male­rei, diese manischen Studien in seriellen Werkgruppen?

Ja, ja … schon gut. Alles schwierige Fragen. Zum einen, weil uns die Abstraktion keine Stöckchen hinhält, die uns über fassbare Figuren oder Landschaft Zugang gewähren, und zum anderen, weil wir eigentlich viel weiter zurück müssen – zurück in den Entstehungsprozess der fertigen Arbeiten. Dieser Prozess des Schaffens steht im Zentrum der hier betrachteten Malerei und er ist gleichsam in den fertigen Arbeiten aufgehoben.

Ein Spannungsverhältnis besteht also zwischen dem malerischen Prozess und dem fertigen Werk, das etwas zeigen soll. Die Arbeit Füreders ist dabei radikal am Prozess – der malerischen Handlung – ausgerichtet, und steht scheinbar konträr zu einem Zweck oder gar einem Ziel. Damit wird nicht das Endprodukt, sondern die Handlung nobilitiert: Malen wird tatsächlich ernst genommen als eine »in sich selbst gehaltvolle Sache« (Hegel: Ästhetik). Die fertigen Bilder dokumentieren dies. In erster Linie sind sie Abfallprodukte (und zwar im reinen Wortsinn als Ausweise des Prozesses), die sich einreihen in ein Werkganzes, welches über die Seriengrenzen hinaus als Experimentalfeld fassbar wird. Jedes Einzelbild gleicht einer Momentaufnahme, einem eingefrorenen Querschnitt der explorativen Suche, und gewinnt als solcher herausgehoben dann auch wieder einen ästhetischen Wert, der im Vorfeld nicht intendiert ist. Irgendwie kompliziert (denken Sie an das Ausgangsproblem der Zeichensysteme), also versuchen wir das noch etwas genauer in Sprache zu fassen und tiefer in den malerischen Prozess einzudringen.

Die titellosen Gemälde bieten uns wenig Angriffsfläche für Zuschreibungen, die über den reinen Ausdruck hinausgehen. Wir sehen Farben, die nicht zur Ruhe kommen und scheinbar in den Raum metastasieren. Eingefroren in der Bewegung gleichen die Farbformationen einem Standbild, dass sich spätestens mit dem nächsten Bild der Serie wieder in Progression auflöst und neu anordnet. Das hier ist keine Flachware und damit kommt zum Beschreibungsproblem auch ein Abbildungsproblem. Eigentlich muss man sich diesen raumgreifenden Bildern präsentisch aussetzen. Sie verändern sich, auch dann noch, wenn sie Füreder aus dem Atelier entlässt. Je nach Ausleuchtung und eingenommener Perspektive – in Totale oder Nahfeld – sehen wir ein anderes Bild, überlagern sich andere Farben, verschwinden Teile im Schlagschatten der aufgeworfenen Farbgebirge.

Die Chronologie der Serien experimentiert mit Farbfamilien und Formaten. Vieles wird zunächst scheinbar im Kleinen durchdekliniert und öffnet sich dann zum Großformat. Zudem kommt in den jüngeren Serien mit der Linie ein zeichnerisches Element hinzu, welches in den frühen Arbeiten noch wenig Berücksichtigung fand. Linien als ordnende Interven­tionen im amorphen Farbgewitter. In ihrer Gesamtheit könnte man die Bilder Für­eders damit als Versuche, dem malerischen Ausdruck beizukommen, bezeichnen; Versuche, die sich dann zu einem Inventar der malerischen Ausdrucksmöglichkeiten formieren. In ihnen aufgeho­ben ist also ein Verhandlungsprozess, der um die Frage kreist, wie ein notwendig vorhandenes Ich der Malerei zu eigenem Ausdruck verhelfen kann; wie es dabei im Schaffensprozess soweit wie möglich zurücktreten und sich einer Auflösung in der Arbeit annähern kann.

Zur Abstrak­tion der Gegenstände (Außenwelt) kommt damit die Abstraktion des Subjekts (Innenwelt) hinzu.

Die Bilder dieser Ich-Dissoziation werden so zu Produkten der malerischen Tätigkeit, die – als Work in Progress – auf kein vorbestimmtes Ende abzielen. Genauer gesagt fungieren die einzelnen uns zur Anschauung gebrachten Malereien als Teilergebnisse in einem meditativen Akt der Selbstüberschreibung. Sie sind malerische Palimpseste, die als Zwischenstufen immer auch den fortschreitenden Prozess abbilden. Farbschichten werden aufgetragen, aufgetrommelt, übermalt und geschichtet. Trocknungsprozesse eingerechnet, ist dies ein langwieriger Vorgang, bei dem Füreder sich körperlich in seine Arbeit versenkt. Gerade diese repetitive Wiederholung der Malprozesse zwischen den Trocknungsphasen dient dazu, das Subjekt zu nivellieren. Eine Art temporäre Loslösung vom Subjekt im Schaffen selbst, um dem Akt des Malens näher zu kommen.

Kurzum: Wenn sich schon etwas ausdrückt, sollte es die Malerei selbst sein. Das Ich bekommt man zwar nicht ganz los – es ist hier eher als ein eingeschriebenes Übel zu verstehen –, man kann es aber nivellieren, indem man in unterschiedlichen Arbeitsprozessen an unterschied­lichen Tagen mit unterschiedlichen Stimmungen und »Erscheinungsformen des Ichs« (wir sind ja als Person nicht Eine·r sondern Viele) die Handlungen des Malens (die an unterschiedlichen Tagen natürlich auch unterschiedlich sind) vollzieht.

Letztlich geht es im künstlerischen Schaffen Füreders auch und gerade um eine Auseinandersetzung mit Anschauungsprozessen. Die malerische Handlung erscheint uns als gewandelter Anschauungsprozess, bei dem durch Abstraktion von der Welt und vom Subjekt eine malerische Welt erzeugt wird, in der eine Abgrenzung von Objekt und Subjekt gar nicht mehr so leicht möglich scheint. Das liegt darin begründet, dass diese malerischen Handlungen dazwischen liegen. Sie versuchen nichts künstlich/künstlerisch zu fassen. Herkömmliche Dichotomien zwischen Objekt und Welt sowie Subjekt und Welt werden aufgehoben. Das malerische Handeln eröffnet einen Zwischenraum, in dem sich die Wechselwirkung manifestiert – und diese gewinnt an Bedeutung!

Wenn man hinschaut und weiterdenkt, kann man in Füreders Malerei genau dieses dynamische Hin und Her beobachten. Subjekt und Objekt haben sich aufgelöst. Die Wechselwirkung steht im Zentrum. Geist und Körper verschwimmen zu einem Unteilbaren. Dies ist die »Ursuppe«, in der wir uns befinden, und der wir mit Hilfe dieser Bilder und unserer Versenkung in Malerei wieder erstaunlich nahe kommen können. Die bekannte Welt zwingt uns gemeinhin, zu differenzieren und einen konkreten Standpunkt einzunehmen. Das macht Füreders Malerei gerade nicht. In ihr können wir uns im Zwischenraum – frei schwebend zwischen den Polen – aufhalten, weil sie an keine Zwecke und Ziele geknüpft ist.

Was dabei entsteht ist Wirklichkeit im besten Sinn. Wirklichkeit, auf die wir wirken und die auf uns wirkt – bedingungslos. In dieser Malerei stehen uns weder Vorstellungen noch Konstruktionen im Weg. Sie ist pure Anwesenheit, geschaffen aus der Auseinandersetzung im Moment. Die fertigen Bilder stellen diese Auseinandersetzung im Moment immer wieder aufs Neue aus und werden damit zu den Schauplätzen, an denen wir die hier entworfene Wirklichkeit tatsächlich erleben können.

Ist nun klar, was hier zu sehen ist?
Ich denke nein, denn die am Anfang meiner Auseinandersetzung aufgeworfenen Fragen müssen notwendigerweise unbeantwortet bleiben. Das liegt nicht allein an der Spannung der Zeichensysteme, sondern vielmehr an der Dynamik der zur Anwendung kommenden malerischen Ausdrucksmöglichkeiten und dem veränderten Blick auf die Anschauung. Neue Fragen ergeben sich gerade dort, wo wir den Zwischenraum von Objekt und Subjekt erkunden. Als Betrachter·in bleibt man, genau wie der Maler Füreder in seiner selbst auferlegten Arbeit am Archiv, ein·e Suchende·r. Das ist keinesfalls unbefriedigend, sondern eher ein großes Glück, denn schon Hegel wusste: »Manchmal, gerade bei besonders guten Fragen, kommt keine Antwort heraus, wenn man sich die Frage genau anschaut, nur, aber immerhin, eine bessere Frage.«

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Melisma, Siegfried Füreder (2013)

Ein Mensch der sich mit Bildern beschäftigt lässt Sprache im herkömmlichen Sinn ein Stück weit hinter sich. Ich meine mit Sprache Aussagesätze, die wahr oder falsch sein können, als Metaebene zu einer Welt auf die sie sich beziehen sollen. Der Aussagesatz will ein Stück Welt beschreiben oder erklären und bleibt dennoch Satz. Dabei ist die Differenz zwischen der Konstruktion Satz und der Konstruktion Welt niemals aufgehoben. Das könnte man auch von Bildern behaupten, zumindest dann, wenn sie etwas abbilden möchten. Aber bildet ein Gemälde etwas ab? Manche tun das. Kann aber ein Satz oder ein Bild selbst die Welt sein? Das ist das Thema das mich brennend interessiert.

Welchen Strich setze ich, welchen Punkt mache ich. Gibt es einen Grund für diesen Punkt oder gar ein Ziel? Soll ein Bild entstehen? Hat das Bild dann Bedeutung oder liegt Bedeutung in der Ansammlung an Vorkommnissen, die während des Auftragens, Hinschleuderns, etc.. entstehen? Oder liegt nirgends Bedeutung? Wirkt das Bild auf die einzelnen Vorkommnisse, die es erzeugen, zurück, oder stehen sie für sich selbst? Sind sie sich also selbst genug oder bedürfen sie anderer Vorkommnisse oder eines Trägers der als Bild diese Vorkommnisse zu etwas werden lässt? Das sind Fragen die mich beschäftigen.

Wann ist denn ein Ereignis die Welt selbst und nicht etwas, das auf die Welt bezogen ist? Ich meine dann, wenn dieses Ereignis für sich selber steht. Ein Punkt ist ein Punkt, wenn er als Punkt für sich steht und nicht für etwas anderes, worauf er bezogen wäre. Warum setzt man aber diesen Punkt? Damit er ist wie er ist, müsste jetzt die Antwort lauten. Und was ist er dann? Ein Punkt so wie er gesetzt ist, nichts weiter.

Wo liegt dann aber diese Welt, die der Maler erzeugt? Ist es der Punkt da draußen, oder ist es das Erfahren des Punktes da drinnen? Ist es die Differenzierbarkeit der mannigfachen Erscheinungen?

Ist es die Sensibilisierung im Menschen, oder sind es die Erscheinungen selbst? Oder liegt diese Welt gar dazwischen? Und wo liegt die andere Welt, jene Welt, welche Leute die „normale“ nennen?

Ich denke, wir Menschen sind wie Gemälde und auch Welten nie abgeschlossen. Wir sind keine fertigen Objekte, sondern Prozesse – Ereignisse mit Anfang und Ende – und Bilder bedürfen ebenso der Partizipation wie wir selbst. Ein Bild hängt nur augenscheinlich an der Wand, aber eigentlich entsteht das Bild erst zwischen dem „Objekt Bild“ (das an der Wand hängt) und dem Betrachter – oder zwischen der Wand, Staffelei… und dem Maler – oder vielleicht besser: immer beides gleichzeitig vereinnahmend/schaffend. Der Betrachter wird zum Betrachter im Moment der Betrachtung und das Bild zum Bild im Moment des Bildens. In dieser Art von Prozessen (und nur in diesen) erschaffen wir eine Welt (erschaffen wir Welten) und gleichursprünglich erschaffen wir auch uns selbst.

In diesem Sinne scheint die Welt der Malerei tatsächliche eine Welt zu sein. Diese Welt entsteht (wie jede andere Welt) im Moment des Erschaffens – durch den Maler und durch den Rezipienten gleichermaßen – und sie bietet uns (wie jede andere tatsächliche Welt) eine Antithese zu Einfachheit, Zweckrationalität, Äußerlichkeit, Oberflächlichkeit, usw.

Beschriebenes, Katalogisiertes, Schubladiertes, verliert in diesem Zusammenhang zunehmend mein Interesse. Erklärende, beschreibende Sprache wirkt aus der Perspektive „schöpferischer“ Prozesse oberflächlich. Was erklärt werden kann, scheint oft nicht Wert auch nur ein Wort darüber zu verlieren.

Mich interessiert das Andere.

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Interview mit Siegfried Füreder,

geführt von Jan Apitz, anlässlich der Ausstellung „TOSEN“.

Tosen‘ zur Beschreibung der Windbewegung verneint das leichte, angenehme Wehen. Wie aggressiv ist deine Malerei bzw. deine Malweise?

Das wechselt sehr stark, würde ich sagen. Einmal ist meine Malweise eher als rhythmisch zu beschreiben – Rhythmus spielt tatsächlich eine große Rolle, obwohl dieser Rhythmus oft unregelmäßig ist und auch ausbricht. Er ähnelt nicht so sehr der Harmonie eines gut gespielten Tones, sondern entspricht mehr einem Gitarrenriff, als rhythmisch prägendes Motiv. Dieser Rhythmus kann sich auch stark verkürzen/konzentrieren/verdichten. Dann wird mein Malen sehr intensiv, wofür sicher eine gewisse Aggression nötig ist. Das sei unbestritten.

Ein Vergleich mit dem Begriff ‚Klangteppich‘ würde deinen Malereien sicher nicht gerecht werden, dazu wäre eine untergründige Struktur als Taktgeber notwendig. Deine Bilder entstehen über längere Zeiträume. Sie scheinen nicht planbar. Oder täuscht das?

Nein, das täuscht nicht. Ich glaube auch, darin liegt eine besondere Qualität von Malerei überhaupt. Maria Lassnig hat es einmal in einem Interview in etwa so formuliert: „Malerei ist die unmittelbarste Kunstform; nur Zeichnen ist noch unmittelbarer.“ Ich denke, man würde auf diese Besonderheit der Malerei (oder Zeichnung) verzichten, würde man ein Gemälde ausschließlich planen. Auf Malerei, wie ich sie gerne verstehe und praktiziere, muss man sich einlassen können. Dazu braucht es auch Mut und ein gewisses Maß an Selbstvertrauen. Es ist immer auch ein Risiko sich auf etwas nicht Planbares wie einen malerischen Prozess einzulassen. Aber genau darin liegt das Moment des Lebendigen in der Malerei. Es ist kein Archiv, das wir hier betrachten! Wenn wir ein Bild betrachten, betrachten wir die Spur des Lebendigen selbst. Das klingt zwar ordentlich geschwollen, aber ich denke, das ist so. Im Gemälde können wir ein Stück Leben sehen, unmittelbar und unverschleiert. Das ist etwas sehr Schönes an dieser Kunstform.

Die Unmittelbarkeit ist natürlich ein hehres Ansinnen in der Kunst. Aber allein der Trocknungsprozess der pastos gesetzten Ölfarbe in deiner Art von Malerei verlangt doch ein stetiges Innehalten im Malprozess. Wie verträgt sich das mit dem Moment des Unvorhergesehenen? Darüber hinaus interessieren mich aber auch die Quellen deiner Bildfindungen.

Sieht man die Unmittelbarkeit als hehres Ansinnen, klingt das für mich nach einem programmatischen Entwurf. Das hätte etwas Moralisches oder auch Verkrampftes, jedenfalls Einschränkendes und ist nicht das, was ich meinte (und ich denke, das ist auch nicht Maria Lassnigs Ansinnen gewesen). Ich würde es so formulieren: Wenn es stimmt, dass die Unmittelbarkeit gerade das Malen und Zeichnen im Besonderen auszeichnet, muss das eine Eigenschaft sein, die diesen Kunstformen innewohnt. Ich als Maler müsste mich sozusagen gar nicht darum kümmern. Ich müsste nur Acht geben, dass ich nicht aus z.B. „malereifremden“ Interessen oder Ängsten verhindere, dass sich diese Eigenschaft zeigt bzw. manifestieren kann (außer natürlich ich will das so).

Das beantwortet vielleicht auch schon die eigentliche Frage. Der Akt des Malens selbst ist unmittelbar. Dann trocknet die Ölfarbe und ich habe auch Zeit für Reflexion. Das ist ja per se nichts Schlechtes und steht auch gar nicht im Widerspruch zur Unmittelbarkeit (auch Denk-Prozesse können unmittelbar sein). In malerischen Prozessen findet eine Kommunikation mit dem Bild statt, in der nicht nur das Bild sich entwickelt, sondern ich mich (gleichursprünglich) auch selbst entwickle. Genau das verlangt sehr viel Denkarbeit. Ich werde oft auch überrascht von dem, was beim Malen dann tatsächlich passiert. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen passiv. So meine ich das aber nicht. Ich verstehe diesen Vorgang dialektisch, als Wechselwirkung: Der Maler wird zum Maler im Akt des Malens und das Bild zum Bild im Moment des Bildens.

Beides ist aufeinander bezogen und voneinander unabhängig nicht denkbar. Übrigens gilt das auch für den Betrachter. Das ist, nebenbei bemerkt, ein wichtiger Aspekt für die Erklärung, warum wir beim Betrachten von Malerei kein Archiv betrachten!

Aber das Unvorhersehbare verlangt noch eine genauere Erklärung: Spätestens seit Sigmund Freud wissen wir ja, dass wir nicht Herr in unserem eigenen Haus sind.

Für die Malerei gilt das besonders, weil es sich beim Malen um einen ausgesprochen körperlichen Akt handelt. In meinen Reflexionsphasen kann ich mir vieles ausdenken und ich könnte mich vielleicht auch dazu zwingen genau dieses Ausgedachte umzusetzen. Allerdings handelt es sich dann nicht mehr um ein Einlassen auf den Malprozess und auch um kein Einlassen auf mich selbst in meiner Veränderung. Das Abenteuer wäre sozusagen schon vorüber, noch bevor es begonnen hätte.

Was ich damit erklären will, ist in etwa so vorzustellen: Der vorangegangene Malprozess hat nicht nur mit dem Bild, sondern auch mit mir etwas gemacht – worauf ich freilich reflektieren kann. Diese Reflexion verändert wiederum etwas in mir und sie verändert auch meine Wahrnehmung in Bezug auf das Bild. Bei der nächsten Sitzung stehe ich so schon ganz woanders (was mir aber nie bis in die kleinste Kleinigkeit bewusst sein wird). Ich erlebe mich zwar selbst handelnd, wobei schon wieder bedacht werden muss, dass dieses handelnde Selbst bereits ein anderes ist. Das evoziert durchaus auch Staunen darüber, was ich da gerade tue. Zusammengefasst ist da immer etwas Unvorhersehbares, weil die Zukunft nie vorhersehbar ist.

Zu den Quellen: Das ist sehr komplex und umfangreich. Eine ursprüngliche Quelle meiner Arbeit liegt im Portraitzeichnen und –malen. Das sieht man ihr auf den ersten Blick nicht mehr an. Ich müsste weit ausholen um das erklären zu können. Eine andere meiner Quellen sind der Garten und der Wald bzw. die Natur in ihren mannigfachen Erscheinungen. Das sieht man dann schon eher, denke ich. Kurz formuliert könnte man meine Malerei beschreiben als den Versuch beides zu vereinigen. Ich untersuche das Portrait der Landschaft – vielleicht besser formuliert: „das Subjekthafte der Landschaft“ – und umgekehrt suche ich das Landschaftliche im Portrait. Da ist eine Verbindung, da bin ich mir sicher.

Das Durchdenken deines malerischen Tuns in der präzisen Versprachlichung erscheint mir als essentielle Ebene in den Kommunikationsprozessen, die du beschreibst. Bildet deine Malerei (analog zur ‚Sprache‘) ein System?

Das ist sehr interessant und es ist gut, dass du mich das fragst! Es täuscht nämlich ungemein. Das Durchdenken meines malerischen Tuns in der präzisen Versprachlichung spielt tatsächlich nur in der sprachlichen Kommunikation – z.B. jetzt mit dir – eine essentielle Rolle. Ganz einfach deshalb, weil die Kommunikation in einem Interview sprachlich geführt wird. Die Kommunikation mit dem Bild beim Malprozess oder die Kommunikation des Betrachters mit dem Bild ist keineswegs vorrangig sprachlicher Natur. Das wäre ein gravierender Reduktionismus. Es ist eben auch nicht so, dass die Reflexionsprozesse zwischen meinen Malprozessen so sehr sprachlich konnotiert wären – zumindest nicht in dem Sinne, dass sie eine sprachliche Analyse des Getanen darstellten. Das würde mich auch gar nicht interessieren. Meine Reflexionsprozesse nehmen eher den Malprozess als Anlass, um sich selbst, von diesem neuen Punkt aus, frei entfalten zu können z.B. in Form von Einfällen, Ideen, Vorstellungen. Sicherlich gibt es in diesen Phasen auch ein Abwägen und Gewichten. Aber der Reflexionsprozess, den ich im Auge habe, läuft eher bildlich ab. Es ist mehr ein Gefühl oder eine Intuition, der ich folge. Das ist alles sehr konstruktiv, wenn ich mich manchmal auch umentscheide. Vielleicht zuvor aber noch kurz zu der Frage von Systemen: Eigentlich bildet meine Malerei kein System aus. Manchmal überprüfe ich aber z.B. gerade Entdecktes und erstelle davon „Varianten“ um sicher zu sein, dass ich mich da jetzt nicht irre. Das ist für mich wichtig, weil so ein neuer Boden entstehen kann, der stabil genug ist für den nächsten Schritt oder den nächsten Sprung. Man muss bei meinem malerischen Tun schon auch sehen, dass ich mich in einen Raum vorwage, der mir so vorher noch nicht bekannt ist, und dabei entdecke ich Dinge, die mir dann eben neu sind. Nachdem man sich aber auch immer in etwas täuschen kann, braucht es diese Überprüfungen von Zeit zu Zeit.

Ich spreche hier aber nicht von 100 Gemälden oder gar von einem ganzen Lebenswerk, sondern von 5-10 Arbeiten, die etwas Erreichtes in irgendeiner Weise bewähren (das kann auch nur die Formatfrage betreffen). Mehr wäre mir auch langweilig. Und selbst in dieser – nennen wir es – Serie, ist in jedem Gemälde stets etwas Eigenständiges enthalten und es ist in jedem Bild auch immer ein Ausblick auf eine ganz neue Möglichkeit präjudiziert. Das ist mir wichtig.
Erst dann kann ich über ein Bild nämlich sagen: „So, jetzt ist es fertig.“